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Über das Buch
Es freut mich sehr, dass Sie sich für dieses Buch und damit für meine Perspektive auf die Computergeschichte interessieren. Vielleicht ist dies Ihr erster Zugang zur Geschichte der Computer, vielleicht sind Sie aber auch bereits ein richtiger Kenner und fragen sich nun, warum es denn *noch* ein Buch darüber braucht. Gibt es nicht schon genug davon?
Geschichte kann immer nur unvollständig wiedergegeben werden. Geschichtserzählungen sind immer Ausschnitte und spezielle Sichtweisen auf die Entwicklungen. In vielen populären Dokumentationen der Computergeschichte, sei es in Buchform, als Fernseh-Dokumentation oder als Internetvideo werden Erzählungen und Legenden rund um die historischen Ereignisse aufgegriffen, nacherzählt und mit historischen Fakten versponnen. Viele dieser oft spannenden Erzählungen wurden von den Protagonisten der Entwicklungen selbst in die Welt gesetzt, andere entstammen den Marketingabteilungen der Computer- und Software-Hersteller. Neben großen Überblicken, die versuchen, viele Geschichtsperspektiven gleichzeitig zu betrachten, im Versuch, einen möglichst guten Gesamtüberblick zu geben und Detail-Dokumentationen, in denen einzelne Computer oder spezielle Entwicklungen punktuell und sehr detailliert betrachtet werden, findet man viele populären Bücher und Videodokumentionen, die vor allem nostalgische Rückblicke sind. Sie beschäftigen sich zumeist mit den Heimcomputern der 1980er und 1990er Jahre. Oft liegt der Fokus der Betrachtung auf der Eignung der Geräte als Spieleplattform und auf den eigenen Erfahrungen der Autoren, die sie in ihrer Jugend mit den Rechnern gemacht haben.
Mein Ansatz in diesem Buch ist eine Perspektive, über die ich in dieser Form noch kein Werk gefunden habe. Ich betrachte nicht die Protagonisten oder die Firmen und auch nicht in erster Linie die technischen Fortschritte in der Rechentechnik, sondern konzentriere mich auf die Evolution des Interfaces, also auf die Nutzungsschnittstelle. Allgemeiner formuliert interessiert mich in diesem Buch, wie sich die Art und Weise, Computer zu bedienen, im Laufe der Zeit weiterentwickelt hat und was hinter diesen Entwicklungen stand. Der Begriff „Evolution“ im Titel ist dabei nicht leichtfertig gewählt. Evolution ist in der Biologie nicht einfach einfach eine beliebige Entwicklung, sondern eine zusehends bessere Anpassung einer Lebensform an die Umweltbedingungen und die sich aus ihnen ergebenden Gefahren. Will man die Evolution einer Spezies erklären, muss man immer auch die Umwelt der Spezies mitbetrachten. Ganz so wie in der biologischen Evolution verhält es sich bei der Evolution der Nutzungsschnittstellen natürlich nicht, denn technische Geräte verändern sich ja nicht aus sich heraus, sondern werden von ihren Weiterentwickelt oder auch ihren Nutzern angepasst. Ich erdreiste mich, trotzdem von Evolution zu sprechen, denn was die Entwicklung der Nutzungsschnittstellen der Computer mit der biologischen Entwicklung gemein hat, ist ihre Wechselwirkung mit der Umwelt. Bei der biologischen Evolution ist es die natürliche Umgebung des Menschen, die betrachtet werden muss, und bei der Evolution der Nutzungsschnittstelle sind es der Stand der Rechentechnik auf der einen und die Nutzungsanforderungen, die an den Computer und seine Bedienung gestellt wurden, auf der anderen Seite. Um diese Anforderungen erfüllen zu können, bedarf es technischer Entwicklungen. Bereits vorhandene Technik ermöglicht dann ihrerseits vorher nicht denkbare Nutzungsformen, aus denen wieder neue Anforderungen an die Technik- und Schnittstellengestaltung resultieren.
Was ist eigentlich eine Nutzungsschnittstelle?
Bruce Tognazzini beschreibt in seinem Buch „Tog on Interface“ von 1991 die Nutzungsschnittstelle des Apple Macintosh als eine „fanciful illusion“. Er schreibt, dass die Nutzungsschnittstelle des Computers, also des Apple Macintosh, ganz anders sei als die des darunterliegenden Betriebssystems. Was Tognazzini hier für den Macintosh erläuterte, ist keineswegs nur für diesen gültig. Sein Gedanke gilt für interaktive Nutzungsschnittstellen ganz generell.
Werfen wir einen kurzen Blick auf diese „fanciful illusion“: Wenn Sie sich die Nutzungsschnittstelle eines Computers ansehen, sehen Sie nicht eine Schnittstelle für die technische Realität des Computers. Sie sehen keine Visualisierung der Prozessor-Operationen, haben keinen direkten Einblick in den Arbeitsspeicher und können auch keine Befehle an angeschlossene Geräte schicken. Was Sie am Bildschirm sehen, wenn Sie etwa einen Dateimanager wie einen Windows Explorer oder einen Finder am Mac bedienen, ist ganz etwas anderes. Der Computer erzeugt für Sie durch seine Programmierung eine eigene Welt am Bildschirm. In dieser Welt, der Nutzungswelt, gibt es beispielsweise Dateien als Icons. Wir können diese Objekte am Bildschirm selektieren und manipulieren, also etwa umbenennen oder gar löschen. Die Dateien im Explorer- oder Finder-Fenster sind Objekte, die nur durch die Nutzungsschnittstelle existieren. Wenn wir den Computer auseinander nehmen würden, würden wir keine Dateien finden, selbst wenn es uns möglich wäre, die Magnetisierungen auf der Festplatte oder die Zustände der Bits einer SSD direkt wahrzunehmen.
Das Betriebssystem und die Dateimanager-Software liegt als Zwischenschicht zwischen dem Nutzer und der technischen Realität der Maschine. Diese Zwischenschicht, die Nutzungsschnittstelle, sorgt dafür, dass sich Nutzer nicht um so etwas wie das Festplatten-Handling kümmern müssen und dass gespeicherte Texte nicht etwa durch Angabe einer physikalischen Adresse auf der Festplatte angesprochen werden, sondern mit Namen ansprechbar und im geschilderten Fall sogar räumlich auswählbar sind. Die Nutzungsschnittstelle sorgt auch dafür, dass ein solches Textobjekt betrachtet werden kann, indem es am Bildschirm geöffnet wird. Der Nutzer muss nicht erst ein Programm bitweise eingeben, von der Festplatte in den Arbeitsspeicher kopieren, eine Startadresse eingeben und den Programmablauf manuell starten, um den Text anzuzeigen. Diese Handlungen sind kein Teil der Nutzungswelt und daher dem Nutzer nicht (mehr) zugänglich.
Die Nutzungsschnittstelle ist eine harte Grenze. Auf der einen Seite der Schnittstelle, nach außen hin, gibt es nur die Objekte der Nutzungswelt und auf der nach innen gerichteten Seite nur die physikalischen Gegebenheiten der technischen Welt. Die Nutzungswelt ist Tognazzinis „fanciful illusion“. Um genau diese Scheinwelten geht es mir. Wie sind sie entstanden? Welche Nutzungsanforderungen standen hinter ihrer Ausgestaltung? Welche technischen Probleme waren zu lösen? Was waren die Hintergründe hinter Nutzungsschnittstellen, die heute kurios wirken und inwiefern haben Designentscheidungen aus vergangenen Jahrzehnten noch heute Auswirkungen auf die Art und Weise, wie wir unsere Computer bedienen? Fragen dieser Art will ich in den kommenden Kapiteln nachgehen. Ich hoffe, Sie folgen mir dabei!
Über den Autor
Felix Winkelnkemper ist Wissenschaftler am Heinz Nixdorf Institut der Universität Paderborn. Er promovierte dort mit einer Arbeit mit dem Titel "Responsive Positioning". Seine wissenschaftlichen Interessen liegen in den Gebieten Software-Ergonomie, Mensch-Maschine-Interaktion und digitalen Medien.